“Ich kann dich
von oben
von unten
von vorn
vorn hinten
und von der Seite sehen
von mir aus betrachtet bist du immer schön”
Josephin, 9
Kurz nach dem Tod meines Opas übergab mir mein Papa einen großen Umschlag mit allen gesammelten Werken, die ich meinem Opa über die Jahre geschrieben hatte. Es war lange her, dass ich mit meinem Opa regen Briefkontakt pflegte und noch länger, dass ich ihm ein Gedicht schrieb. Ich war nicht sicher, ob ich bereit war, den Sprung in die Vergangenheit zu wagen, aber ich begann, eines nach dem anderen aus dem Umschlag zu nehmen. Ich fand Gedichte, die ich zu Geburtstagen schrieb und auch einige, in denen ich versuchte, mir auf die Welt und das Leben einen Reim zu machen. Mit 9 Jahren. Damals muss sich die Welt genauso seltsam angefühlt haben, wie sie es heute tut.
Dies war ein Tag im Jahr 2023. Nur wenige Wochen nachdem ich meine beiden Großeltern verloren hatte, wenige Monate nachdem ich im Krankenhaus lag, wenige Jahre nachdem ich meinen Bruder verloren hatte und Freddie geboren wurde. Es war, als habe sich alles verändert, was ich in den Gedichten las, als würde kein einziges Wort mehr der Wahrheit entsprechen. Ich entschied an diesem Tag, dass es an der Zeit ist, das Schreiben wieder anzufangen, meine Gedichte zu sammeln und alles an einem sicheren Ort aufzubewahren. Es war an der Zeit, neu zu beginnen und meine verlorene Wahrheit aufzuschreiben. All die Dinge festzuhalten, die man sagen wollte, aber nicht konnte, um dem Vergessenen trotzdem einen Sinn zu geben.

So viel hatte mir das Schreiben als Kind bedeutet. Es war an der Zeit, wieder zu den Anfängen meines Glücks zurückzukehren. So, entschied ich, alle Gedichte zu sammeln, neu zu schreiben und auszubessern, um sie in einem Gedichtband zu sammeln.
Jetzt wo ich weiter darüber nachdenke, hätte ich das Buch “The Lost Poems” nennen sollen… Aber eigentlich sollte der Titel etwas anderes widerspiegeln, nämlich die Uhrzeit, in der die meisten meiner Arbeiten entstanden sind, nämlich: 10 vor Mitternacht.
Im Dunkeln, wenn alles ruhig ist und mein Gedankenkarussell anfängt, sich zu drehen. Immer dann, wenn mich irgendetwas beschäftigt. Ihr werdet sehen, dass nächtliche Uhrzeiten in meinem Buch eine wichtige Rolle spielen. Sie hatten für mich etwas Magisches und Sicheres.
Einige Gedichte sind in den Nächten entstanden, in denen ich mich zum ersten Mal richtig verliebte oder denen, in denen ich mich endlos frei und glücklich fühlte. Aber auch Nächte in Brighton, in denen ich wusste, dass bald mein Herz gebrochen wird. Einige entstanden im Fall danach und die endlosen Versuche, endlich geliebt zu werden. Ich schrieb auch über das Gefühl, nicht genug zu sein, keinen Ort zu finden, wo ich mich zu Hause fühlen konnte und vor allem das überwältigende Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein.
Diese Reise zurück zu meinen alten Worten hat mir geholfen, den Verlust zu verarbeiten und wieder Freude am Schreiben zu finden. Das Sammeln und Neuschreiben meiner Gedichte ist nicht nur ein Akt der Selbsterkenntnis geworden, sondern auch eine Brücke zu den Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Indem ich diese Gedichte teile, hoffe ich, anderen ein Gefühl der Verbundenheit und des Verständnisses zu bieten. Es ist eine Einladung, gemeinsam durch die Dunkelheit zu gehen und vielleicht sogar ein Stück weit ins Licht zurückzufinden.
Nun sitze ich ein Jahr später wieder am Schreibtisch und erzähle, wie ich mein ersten Buch geschrieben habe.
xx Jo Oswin
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